Chiffre der Hoffnung
Kunstwerk der Woche
Marg Moll, Schlafende Katze
Als eine der wenigen deutschen Bildhauerinnen des frühen 20. Jahrhunderts erhielt Marg Moll entscheidende Impulse durch die Pariser Avantgarde. Im Dritten Reich galt die kosmopolitische Künstlerin als „entartet“ und musste daher im Verborgenen arbeiten. 1935 schuf sie die Plastik Schlafende Katze, die wie eine Chiffre der Hoffnung in dunkler Zeit anmutet.
Pionierin der Moderne
Künstlerinnen wie Käthe Kollwitz, Paula Modersohn-Becker oder Gabriele Münter sind seit langem im Kanon der Kunstgeschichte verankert. Die ihnen entgegengebrachte Anerkennung lässt jedoch vergessen, welche Widerstände Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu überwinden hatten, um sich in einer von Männern dominierten Kunstwelt durchzusetzen.
Berliner Skulpturenfund vor dem Roten Rathaus 2010 (Foto: Ralf Roletschek)
Zu den Pionierinnen der Moderne zählt auch die elsässische Bildhauerin Marg Moll, deren Oeuvre durch Ächtung und Zerstörung während des Dritten Reiches nahezu in Vergessenheit geriet. Erst der sogenannte Berliner Skulpturenfund 2010 lenkte erneut Aufmerksamkeit auf sie, wobei ihre wiederaufgefundene Plastik Die Tänzerin vor Augen führte, wie eng Molls Leben und Werk mit den avantgardistischen und zeitgeschichtlichen Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts verwoben sind.
Wer war Marg Moll?
Wie viele Künstlerinnen um 1900 war Marg Moll mit einem Künstler liiert. Der Maler Oskar Moll stand ihr nicht nur als verständnisvoller Partner zur Seite, sondern verschaffte ihr auch Zugang zu den führenden Kunstkreisen Berlins, wohin das Paar 1905 gezogen war. Dort trat Marg Moll in die private Malschule von Lovis Corinth ein, der zusammen mit Max Liebermann und Max Slevogt das Dreigestirn des deutschen Impressionismus bildete.
Lovis Corinth, Porträt Marg Moll, 1907
Ab 1907 lebten Oskar und Marg Moll in Paris, dem Epizentrum der internationalen Avantgarde. Dort freundeten sie sich mit Henri Matisse an, den sie zur Eröffnung einer privaten Malschule ermutigten. Innerhalb kurzer Zeit erfreute sich die Académie Matisse regen Zulaufs, wobei Marg Moll unter der Anweisung ihres Lehrers von der Malerei zur Bildhauerei wechselte. Wie Corinth pflegte auch Matisse ein freundschaftliches Verhältnis zu seiner Schülerin und schuf wie dieser ein Porträt von ihr.
Salon Moll mit Henri Matisses‘ Porträt von Marg Moll, 1920er Jahre
Obwohl Marg und Oskar Moll ihren Lebensmittelpunkt bereits vor dem Ersten Weltkrieg wieder nach Deutschland verlegten, brach ihr Kontakt zur Pariser Kunstszene bis in die 1930er Jahre nicht ab. Dass Moll auch als etablierte Künstlerin weiterhin Impulse der französischen Avantgarde aufnahm, zeigen ihre kubistisch inspirierten Plastiken der 1920er Jahre. Diese entstanden teils unter dem direkten Einfluss von Künstlern wie Fernand Léger, Constantin Brancusi und Ossip Zadkine und brachten ihr große Anerkennung ein. Unter anderem wurden sie von der renommierten Berliner Galerie Flechtheim ausgestellt, die sie an prominente Sammler und Museen vermittelte.
Marg Moll, Stehende Frau, 1929
In dunkler Zeit
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 bedeutete für das Ehepaar Moll eine einschneidende Zäsur. 1937 wurde Marg Molls Bronze Die Tänzerin aus der Sammlung des Breslauer Museums entfernt und zusammen mit vielen anderen Werken der Moderne in der Wanderausstellung Entartete Kunst gezeigt. Doch schon vorher hatten sich die öffentlich geschmähte Künstlerin und ihr Mann wenig Illusionen über ihre Zukunftsperspektiven im Dritten Reich gemacht und sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
Werke aus der Wanderausstellung Entartete Kunst mit Marg Molls Bronze Die Tänzerin
Die widrigen politischen Verhältnisse hielten Moll indes nicht davon ab, weiterhin als Künstlerin zu arbeiten. Ein charakteristisches Werk dieser Schaffensphase ist die 1935 entstandene Plastik Schlafende Katze. Schon in den 1920er Jahren hatte sich die Künstlerin mit Tierdarstellungen auseinandergesetzt, einem auch nach 1933 politisch unverfänglichen Genre. Ihre Werke führte sie ab dieser Zeit ausschließlich in Holz aus, da Güsse in Bronze allein NS-konformen Künstlern erlaubt waren. Zudem mussten Kunstgießereien der Reichskammer der bildenden Künste offenlegen, welche Bildhauer bei ihnen in dem als kriegswichtig eingestuften Material arbeiten ließen.
Von Ruhe und Frieden
Von der existentiellen Bedrohung ihrer Schöpferin ahnt der Betrachter der Schlafenden Katze nichts. Vielmehr strahlt das zusammengerollte Haustier durch seine klare Formensprache Ruhe und Gelassenheit aus. Reduktion und Stilisierung der anatomischen Grundformen nehmen der Darstellung nichts von ihrer realistischen Anmutung. Moll projiziert das Volumen der Katze in die Fläche, wobei sie dem sanften an- und abschwellen einzelner Körperpartien besondere Aufmerksamkeit schenkt. Zugleich zeichnet sich die Oberflächenbehandlung durch ein hohes Maß an Differenziertheit aus und wird in ihrer Lebendigkeit durch die unterschiedlichen Brauntöne der Patinierung gesteigert. Das Hauptaugenmerk der Künstlerin liegt auf dem Kopf der Katze, der auf den verschränkten Vorder- und Hinterläufen ruht. Ihre geschlossenen Augen sowie die Maulpartie suggerieren das Gefühl von Zufrieden- und Geborgenheit, welches man vor dem Hintergrund der Entstehungszeit der Plastik wie den stillen Wunsch nach innerem Frieden zu deuten meinen darf.
Marg Moll, Schlafende Katze – Detailansichten
Die in der Schlafenden Katze anklingende Hoffnung auf bessere Zeiten stand schon wenig später im krassen Widerspruch zu Marg Molls Lebensrealität. 1943 brannte ihr Haus bei einem Bombenangriff auf Berlin bis auf die Grundmauern nieder und nur ein geringer Teil ihrer Werke entging der Zerstörung. Zu ihnen zählt das Holzmodell der Schlafenden Katze, welches sie trotz begrenzter finanzieller Möglichkeiten nach Ende des Zweiten Weltkrieges fünf Mal in Bronze gießen ließ. Das vorliegende Exemplar wurde 1951 als einziges von der renommierten Berliner Bronzegießerei Noack ausgeführt und blieb bis zum Lebensende der Künstlerin in deren Besitz.