Make-up-Sorgen in der Wüste
Kunstwerk der Woche
Dodo, Ihre Sorgen
Seit der Renaissance hat kein außereuropäisches Land des klassischen Altertums die bildende Kunst so stark inspiriert wie Ägypten. Die Begeisterung für das Land am Nil kulminierte in der Ägyptomanie, die einen ihrer Höhepunkte in den 1920er Jahren erreichte. Hiervon ließ sich auch Dodo inspirieren, wie die satirische Zeichnung Ihre Sorgen zeigt.
Vom Mode- zum Satireblatt
Berlin in den goldenen 1920er Jahren: nach dem Ende des Ersten Weltkriegs erblühen Kunst und Kultur zu neuem Leben. Entscheidenden Anteil daran haben auch die Frauen, die nicht länger bereit sind, sich dem Diktat der Männer zu unterwerfen. Eine von ihnen ist die 1907 in eine gutbürgerliche jüdische Familie geborene Clara Dörte Wolf, genannt Dodo. Von 1923 bis 1926 besucht sie die private Kunst- und Gewerbeschule Reimann, an der sie als freie Grafikerin ausgebildet wird. Nach anfänglicher Tätigkeit für diverse Modeblätter zählt Dodo zwischen 1927 und 1929 zu den Mitarbeitern des auflagenstarken Satiremagazins ULK, für das u.a. auch Jeanne Mammen, George Grosz und Rudolf Schlichter zeichnen. Die von ihr veröffentlichten Werke – über 60 meist ganz- oder doppelseitig publizierte Gouachen von grafischer Prägnanz und leuchtender Farbigkeit – markieren den Höhepunkt in Dodos Oeuvre. In den vergangenen Jahren wurde es in mehreren internationalen Ausstellungen zur Neuen Sachlichkeit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, nachdem es jahrzehntelang in Vergessenheit geraten war.
Dodo, um 1928
Mesalliance à trois
Dodos Werke atmen nicht nur den Geist der Großstadt, sondern auch den der weiten Welt. Ein Beispiel hierfür ist die von der Ästhetik des französischen Art Déco inspirierte Gouache Ihre Sorgen, die den Betrachter in eine Wüstenlandschaft versetzt. Palmen und Pyramiden lassen erkennen, dass die Szene in Ägypten spielt. Im Vordergrund hält ein junger Diener die Zügel eines Kamels, auf dessen Sattel eine elegant gekleidete Europäerin sitzt. Deren maskenhafte Gesichtszüge sprechen kaum für ein gesteigertes Interesse an der altägyptischen Kultur. Stattdessen scheinen ihre mandelförmig geschlitzten Augen in Richtung des exotischen Tour-Guides zu linsen. Dass sie nicht nur ihm, sondern auch anderen Männern gefallen möchte, deutet der ihr in den Mund gelegte Text im ULK an:
„Schrecklich, meine Wüstenschminke reicht nur noch für’s Gesicht. Und morgen ist Strandfest am Nil.“
Dodo – Ihre Sorgen, Detailansichten
Mit den Sorgen um ihre äußere Erscheinung kann die modebewusste junge Frau jedoch weder bei ihrem menschlichen noch tierischen Begleiter punkten. Während das Kamel mit stoischer Gelassenheit die Augen schließt, meidet der Touristenführer in gespielt devoter Haltung jeglichen Augenkontakt. Derartige Luxusprobleme kommen im Alltag der einfachen ägyptischen Bevölkerung schlichtweg nicht vor.
Touristen, Pharaonen und Detektive
Dodos Zeichnung Ihre Sorgen ist nicht nur ein satirischer Seitenhieb auf die Ignoranz eines eitlen Modepüppchens, sondern auch ein Reflex auf die bereits vor dem Ersten Weltkrieg herrschende Ägyptenmode. Schon damals strömten bis zu 50.000 Touristen jährlich in das Land der Pharaonen, wobei Assuan und Luxor zu den beliebtesten Aufenthaltsorten zählten. Viele der Reisenden gehörten der europäischen Upper Class an, die in exklusiven Grand Hotels abstieg bzw. eine Nilfahrt auf einem komfortablen Luxusdampfer unternahm. Entsprechende Berichte festigten die allgemeine Vorstellung von Ägypten als einem Land, das die Schönen und Reichen anzog, wohingegen die Armut der heimischen Bevölkerung kaum der Erwähnung wert war.
Hotel Continental Savoy, Kairo 1935
In den 1920er Jahren erhielt die europäische Ägyptenbegeisterung abermals Impulse: Zu ihnen zählen die Entdeckung des Grabmals des Tutanchamun durch den britischen Archäologen Howard Carter und die Überführung der Nofretete auf die Berliner Museumsinsel. Bald schlug sich die neu entflammte Ägyptomanie auch in Literatur, Theater und Kunst nieder. Dieser Trend hielt bis in die 1930er Jahre an, als die britische Schriftstellerin Agatha Christie mit dem Krimi Der Tod auf dem Nil einen weltweiten Bestseller landete, dessen Popularität bis heute ungebrochen ist.
Howard Carter bei Öffnung des Sarkophags von Tutanchamun, 1922