Echo der Antike

WELTKUNST
Online, 20. April 2018

Anselm Feuerbach, Lesbia mit dem Vogel

 

DREI KUNSTHÄNDLER IN MÜNCHEN UND DIE ANTIKE

Was dabei herauskommt, wenn drei namhafte Münchner Kunsthändler sich zusammentun, um eine gemeinsame Ausstellung auf die Beine zu stellen.

In der Baaderstraße im quirligen Gärtnerplatz-Viertel zog im vergangenen Jahr Eric Meletta, der sich seit über 40 Jahren dem klassischen Interieur und ausgewähltem Kunsthandwerk des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verschrieben hat, in die Kunsthandlung von Klaus Spindler, seit rund 35 Jahren Klassizismus-Experte und Anlaufstelle für die Kunst um 1800. Dazu gesellt sich für die Dauer der Schau Dr. Alexander Kunkel als Gast, der seit 2012 seine eigene Galerie in der Prinzregentenstraße mit Zeichnungen, Gemälden und Skulpturen deutscher Künstler des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, häufig mit Bezug zu Italien, betreibt.

Franz Stuck, Satyr mit Flöte

Vom Klassizismus bis zum Art Déco

Dank ihrer unterschiedlichen Schwerpunkte führen die drei das facettenreiche Thema anhand von Gemälden und Arbeiten auf Papier, Skulpturen und kunsthandwerklichen Objekten vom Klassizismus bis zum Art Déco vor Augen und bieten einen inspirierenden Einblick in die ewige Auseinandersetzung späterer Kunstepochen mit der griechischen und römischen Antike.

Kein anderer hat unser Antikenbild so geprägt wie Johann Joachim Winkelmann, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum 250 Mal jährt. Er begegnet uns in der exquisiten Schau als Marmorbüste. Es spricht alles dafür, dass Friedrich Wilhelm Doell (1750–1816) sie um 1777 postum geschaffen hat. Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha (reg. 1772–1804) schickte Doell mit Künstlerkollegen erst nach Paris und dann nach Rom zum Antikenstudium. Der Forschung bisher unbekannt, entspricht die Marmorbüste der Bronzeversion in Kassel (Spindler, 80.000 Euro).

 

Was wäre unsere Vorstellung von der Antike ohne ihre Götterwelt?

Wir begegnen der schönen Artemis, einer der zwölf bedeutenden olympischen Gottheiten. Die Tochter des Zeus ist als Mondgöttin mit der Jagd und dem Wald betraut. Zudem fungiert sie als Hüterin der Frauen und Kinder. In der römischen Mythologie kennen wir sie als Diana. Deshalb trägt die über einen Meter hohe Bronzeskulptur einen Köcher auf dem Rücken. In Rom um 1810 gegossen, geht sie auf ein griechisches Marmororiginal aus der Zeit um 500/480 vor Chr. im Nationalmuseum in Neapel zurück (24.000 Euro). Rund zehn Jahre später als die Artemis ist in Paris die von Gossin frères signierte, knapp unterlebensgroße Terrakottastatue der Ceres entstanden – die römische Göttin des Ackerbaus, der Fruchtbarkeit und Ehe und Äquivalent zur griechischen Demeter (14.900 Euro). Wiederum ein gutes Jahrzehnt später, 1833, diesmal aber in England, signierte und datiere Felix Austin seine große Sphinx als Gartenplastik aus artifiziellem Kalkstein („artificial limestone“, 18.900 Euro).

Doch auch um 1940 hatten die grandiosen Antiken nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Damals entstand die Kopie eines Pferdekopfes vom Parthenon nach den sogenannten Elgin Marbles im Britischen Museum als épreuve d’artiste für eine Bronze mit den beachtlichen Maßen von 67 zu 84 cm (4.900 Euro). Die vier Beispiele von Eric Meletta zeigen, wie begehrt antikisierende Plastiken bis weit ins 20. Jahrhundert auf dem Kontinent und in England waren.

Marcello, Phytia

Hinter dem Pseudonym Marcello verbirgt sich eine Künstlerin

Die Objekte erzählen auch Geschichten, die die Zeit ihrer Entstehung erhellen. So etwa jene der Bronzestatue der Seherin Pythia in expressiver Pose auf einem Dreifuß. Sie trägt die Bezeichnung Marcello sowie den Gießerstempel Thiébaut Frères/Fumière & Gavingnot Scr./ Paris. Das Modell entstand 1870, der Guss um 1875. Hinter dem männlichen Pseudonym Marcello verbirgt sich die 1836 in Fribourg geborene Schweizerin Adèle d’Affry, die durch ihre Heirat mit dem Herzog von Castiglione Zugang in höchste italienische und französische Adelskreise erhielt. Der Bildhauerei zugetan, nahm die talentierte junge Frau und bald Witwe in Rom und Paris Unterricht bei namhaften Künstlern. Da Frauen damals der Zugang zum Kunstbetrieb offiziell noch nicht gestattet war, stellte sie unter dem Pseudonym Marcello 1863 im Pariser Salon aus und gewann so auch die Gunst des Kaiserpaares. 1869 entstand in Rom ihr Hauptwerk Pythia. Die lebensgroße Bronzefigur erregte auf dem Pariser Salon 1870 große Aufmerksamkeit und wurde von dem Architekten Charles Garnier für das Pariser Opernhaus erworben, wo sie noch heute die Besucher beim Betreten in ihren Bann zieht. Die kleinere Version ist nun in München zu erwerben (Kunkel, 65.000 Euro). Die Pythia sollte ihre letzte bedeutende Bildhauerarbeit bleiben. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg wandte sie sich der Malerei zu.

 

Die Antike als Quell der Inspiration für die Malerei

Auch die Maler waren beeindruckt von den vielen antiken Geschichten, die sie auf neue Weise ins Bild setzen konnten. Anselm Feuerbach, der in Speyer gebürtig, ganz nach Italien ging und 1880 in Venedig starb, wandte sich immer wieder antiken Themen zu. Um 1866 entstand die monogrammierte, großformatige Vorstudie zu Lesbia mit dem Vogel als schwarze, weiß gehöhte Kreidezeichnung auf braunem Papier. Rückseitig zeigt eine weitere Vorstudie eine weibliche Figur an südlichem Gestade zur Iphigenie (Kunkel, 55.000 Euro). Das Blatt befand sich einst im Besitz von Paul Cassirer und später von Julius Böhler. Hier sei angemerkt, dass die bedeutenden Werke der Gemeinschaftsausstellung alle über exzellente Provenienzen verfügen.

Hans Thoma, Apollon und Marsyas

Motive aus der Götterwelt

Zwanzig Jahre später hat Hans Thoma in seinem Gemälde Apollon und Marsyas (Kunkel, 65.000 Euro) den musikalischen Wettstreit zwischen dem Gott und Satyr thematisiert, der mit der Häutung des Marsyas bei lebendigem Leib endet. Wie stark die Antike die Kunst um 1900 beeinflusst hat, verdeutlicht auf besondere Weise das Oeuvre Franz von Stucks, für den vor allem die symbolistische Aussage der Sujets im Vordergrund stand. Ein Beispiel dafür ist die hier gezeigte Ölskizze Satyr mit Flöte von 1894 (Kunkel, 35.000 Euro), die sich auf das im selben Jahr entstandene Gemälde Der Tanz bezieht. 1910 hat Adolf Frey-Moock wiederum der Verführungskraft der Musik und der Macht des Weiblichen in seinem Gemälde Euterpe ein Denkmal gesetzt (Kunkel, 25.000 Euro).

 

Möbel, die Geschichte atmen

Selbst die Möbel atmen Geschichte. Klaus Spindler bietet einen klassizistischen Stuhl an, den der Münchner Architekt Emanuel von Seidel 1898 für einen Wohnraum entworfen hat. Das gut dokumentierte, schwarz ebonisierte Stück mit Goldmalerei auf dem Lehnenquerbrett und Beinen in Form dorischer Säulen wurde von Wenzel Till ausgeführt. Das besondere Möbel wurde im Glaspalast in einem römisch inszenierten Wohnambiente ausgestellt, das Seidel für sein eigenes Wohnhaus konzipiert hatte (12.800 Euro). Als Blickfang für Drinnen und Draussen eignet sich ein großes Dreifuß-Kohlebecken, das nach einem Fund aus Pompeji nach 1862 in einer Gießerei in Neapel vervielfältigt worden ist. Wie gefragt das reich geschmückte Teil einst und heute ist, belegt sein Pendant in der Stuckvilla (Spindler, 12.000 Euro). Auch ein Gueridon um 1830 fällt ins Auge, dessen Granitplatte mit Scagliola-Einlagen den Orden der Ehrenlegion zeigt. Auf einem Foto ist dokumentiert, dass er einst im Schloss Malmaison stand, dem Wohnsitz des Kaiserpaares Napoleon und Joséphine (Meletta, 36.000 Euro).

Adolf Frey-Moock, Euterpe

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Mitbringsel von der Grand Tour

Ende des 18. Jahrhunderts gehörte eine Bildungsreise nach Italien zum festen Programm adeliger Jünglinge. Von dieser sogenannten Grand Tour brachten die Reisenden edle Souvenirs mit. Als Paradebeispiel solcher Erinnerungsstücke zeigt sich eine kleine, wohl in Italien um 1820/30 entstandene rosa Glasschale auf einem vergoldeten Bronzefuß. Die Schale fasst ein Bronzereif ein, auf dem seitlich zwei Tauben in Anspielung auf die Tauben des Plinius sitzen. (Spindler, 7.500 Euro). Wie beliebt und weit verbreitet solche Ziergegenstände waren, zeigt ein ganz ähnliches Stück, das in Schloss Charlottenhof in Potsdam auf dem Schreibtisch der Kronprinzessin Elisabeth stand.

Mit unzähligen Grabstelen gedachten unsere antiken Vorväter ihrer verstorbenen Lieben. Sie erlebten im Klassizismus eine lebhafte Auferstehung im Kunsthandwerk. Um 1800 wurde diesmal wieder in Deutschland – eine große schwarz gefasste Terrakotta-Uhr mit einer Trauernden im antikischen Gewand an einer Grabstele skulptiert. Ein typisches Denkmal und Freundschaftsmotiv, wie es ähnlich auch der Weimarer Bildhauer Martin Klauer geschaffen hat (Spindler, 5.500 Euro).

Unter den rund 100 Exponaten mit einer Preisspanne von ein paar hundert bis 80.000 Euro entdeckt man auch klassische Kleinkunstobjekte wie den Konstantinsbogen aus Alabaster oder ein Tintenzeug aus Bronze und Marmor in Form einer antiken Öllampe. Wegen seiner enormen Maße von 2,20 Metern stellt Spindler die Laokoon-Gruppe aus Gips mit der Marke des Pariser Musée Royal Napoleons von 1820 – zu dem es ein zweites Exemplar in Gipsmuseum in Bonn gibt, nicht in den Galerieräumen aus (85.000 Euro). Die kuratierte Schau sollte als Musterbeispiel zur Nachahmung für weitere Kunsthändleraktivitäten dienen.

Quelle: https://www.weltkunst.de/kunsthandel/2018/04/echoderantike
Mit freundlicher Genehmigung von WELTKUNST, Hamburg