Im Animalischen das Allzumenschliche

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
Ausgabe 30. April 2016, Seite 15

Ernst Moritz Geyger, Der Dornauszieher

 

Das Leben, ein zoologischer Garten: Die Galerie Kunkel in München präsentiert „Tierwelten um 1900“

Auf schwellendem Polster sitzend, kratzt der Schweinsaffe einen Splitter aus seinem linken Fuß. Dornauszieher nannte Ernst Moritz Geyger seine Plastik von 1891 und mokiert sich mit der Anspielung auf die berühmte antike Knabenskulptur offen über Darwins damals neue Erkenntnis der Verwandtschaft zwischen Mensch und Primat. Geyger (1861 bis 1941) bewies mit dieser Bronze autodidaktisches Bildhauerkönnen; großes Talent und Sinn für originelle Sujets hatte er an der Staffelei bereits bewiesen. Die Rinder, die aus dem Stallfenster über einer Krippe mit frischem Grün ihre Köpfe zusammenstecken, malt er ebenso in Lebensgröße wie die Täubchen, die ihrem genüsslichen Käuen zuschauen. Die Viehfütterung bietet die Galerie Kunkel Fine Art in München an, wo die Ausstellung Tierwelten um 1900 in eine sehr muntere und vielgestaltige Menagerie lädt.

Ernst Moritz Geyger - Viehfütterung

Ernst Moritz Geyger, Viehfütterung

Das 19. Jahrhundert sah die Natur mit neuen Augen; Wissenschaftssensationen wie die Evolutionstheorie, auch junge Forschungszweige wie die Tierpsychologie weckten kaum weniger Neugier als Expeditionen, die Erkenntnisse und Spezies aus fernen Regionen, nicht zuletzt aus den Kolonialstaaten heimbrachten. Auf das wachsende Interesse an Exoten und Wildlife reagierte die Alte Welt mit Naturkundemuseen und Zoologischen Gärten. Tiermalerei traf also einen Nerv der Zeit, wurde nun an den Akademien gelehrt. Geyger etwa hatte in Berlin bei Paul Meyerheim studiert, der malte einen prächtigen Tiger und stolze Löwen auf der Lauer, als sei er den Tieren in ihrem natürlichen Umfeld begegnet. Beim selben Lehrer lernte der große Tierbildhauer August Gaul, dessen Schreitender Strauß als Lebzeitenguß von 1902 bei 48.000 Euro liegt.

August Gaul - Schreitender Strauß

August Gaul, Schreitender Strauß

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Die heimische Tierwelt erfüllt angestammte Aufgaben: Louis Tuaillons Bronze Gesatteltes Pferd (14.000 Euro) wartet auf den Reiter; Ludwig von Hofmann lässt einen Rappen einen nackten Jüngling über arkadische Felsufer tragen (36.000 Euro). Hunde, die treuen Freunde, dienen im Jugendstil eleganten Frauen zur Zier, wenn sie nicht, wie Marcello Dudovichs French Bully, verwöhnt auf dem Kissen lümmeln (14.000 Euro). Von Wilhelm Kuhnert, der auch Brehms Tierleben mit illustrierte, sind schöne Bleistiftzeichnungen zu haben (von 3.400 Euro an). Karikaturisten geben den Viechern gern menschliche Züge, so die Simplicissimus-Mitarbeiter Olaf Gulbransson und Heinrich Kley, letzterer ein Hauskünstler bei Alexander Kunkel, der seine Dissertation über den Künstler verfasste.

Weil Walt Disney Kleys Zeichnungen bewunderte und als Inspirationsquelle benutzte, sind seine Arbeiten vor allem in Amerika gesucht. Auch jetzt erwarb ein Disney-Mann die Folge Eiswalzer, den eine nackte Eisprinzessin mit einem Krokodil tanzt. Bei Kley kann der Mensch zur Bestie werden: Zum Warmen Abendbrot beißt ein Riesenkerl gierig einer Kuh in den Rücken; die Federzeichnung kostet 5.500 Euro. (Bis 14. Mai.)

BRITA SACHS