Slawomir Elsner. Master of Line, Magician of Color


RIZE Magazin, S. 54-61

 

Slawomir Elsner: Rubens und Isabella Brant in der Geißblattlaube, 2023, aus der Serie Just Watercolors


„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, Kunst macht sichtbar!“

Mit diesem berühmten Satz brachte Paul Klee Anfang des 20. Jahrhunderts das Wesen der Kunst auf den Punkt. Dass seine Definition noch heute gilt, zeigen die Arbeiten des in Berlin lebenden Künstlers Slawomir Elsner. Nach mehreren Einzel- und Kollektivausstellungen in renommierten Galerien und Museen im In- und Ausland ist er im Sommer 2024 mit einem Zyklus zu Peter Paul Rubens‘ Meisterwerk Die Geißblattlaube in der Pinakothek der Moderne in München vertreten. Die Schau führt Elsners Rang als Zeichner und Aquarellist eindrucksvoll vor Augen und hält dazu an, über die Wechselwirkung zwischen Sichtbarem und Sichtbarmachung zu reflektieren.

 

Präzision und Unschärfe lautete der Titel der bislang größten Ausstellung von Slawomir Elsner (*1976). Sie war 2021/2022 im Museum Wiesbaden zu sehen und lud zu einer visuellen Entdeckungsreise ein, welche die letzten zwei Jahrzehnte seines Schaffens umfasste. Dass sich der Künstler im digitalen Zeitalter auf das Medium der Zeichnung und des Aquarells konzentriert, sagt viel über seine Persönlichkeit aus. In beiden Techniken strebt Elsner, dessen Charakter als ruhig, ernst und klug beschrieben werden darf, ein Höchstmaß an handwerklicher Perfektion an. Hierin liegt für ihn eine essenzielle Voraussetzung, um sein künstlerisches Empfinden in Linie und Farbe zum Ausdruck zu bringen. Das Ergebnis sind über mehrere Jahre hinweg entstehende Werkserien mit unterschiedlichen Themen- bzw. Motivkreisen.

 

Slawomir Elsner: Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff, 2019

 

Wie viele zeitgenössische Künstler setzt sich Elsner mit kunsthistorischen Vorlagen auseinander, um zu neuen, individuellen Ansätzen zu gelangen. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist die im Jahr 2014 begonnene Werkserie Imaginary Memory. Als Ausgangspunkt dienen Elsner dabei Gemälde von der Renaissance bis zum Expressionismus mit hohem Wiedererkennungswert. Unter Beibehaltung von Komposition, Farbgebung und Lichtverteilung hat der Künstler etwa Jan Vermeers Mädchen mit dem Perlenohrring oder Alexej von Jawlenskys Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff von der Malerei in die Zeichnung übertragen. Hierzu setzte er unzählige freihändig gezogene Linien auf einen Bogen Papier. Im Verlauf dieses höchste Konzentration erfordernden Arbeitsprozesses ergibt sich aus dem komplexer werdenden Geflecht parallel verlaufender bzw. sich gegenseitig überschneidender Linien ein der Anmutung der Vorlage zunehmend ähnelndes Werk. Je näher der Betrachter der Zeichnung kommt, desto besser kann er ihre lineare Struktur erkennen. Je weiter er sich von ihr entfernt, desto mehr ähnelt sie der historischen Vorlage. Präzision und Unschärfe gehen in Elsners Schaffen Hand in Hand und evozieren damit die Frage nach dem Sichtbaren bzw. der Sichtbarmachung als Schlüssel zum Verständnis von Kunst.

 

Studio von Slawomir Elsner

 

Die ab dem Jahr 2015 entstandene Werkserie Just Watercolors kann im Hinblick auf ihre Technik sowie Motivik als Gegenpol zu Imaginary Memory bezeichnet werden. Unabhängig von kunsthistorischen Vorlagen lässt Elsner im Medium des Aquarells die vom Gegenstand gelöste Farbe sprechen. Damit knüpft er an die von Künstlern wie Mark Rothko nach 1945 begründete Tradition der Farbfeldmalerei an und schreibt sie fort. Just Watercolors umfasst sowohl monochrome als auch mehrfarbige Werke und lässt abermals den Anspruch ihres Urhebers an absolute handwerkliche Perfektion erkennen. Charakteristisch für die von Elsner teils in Dutzenden von Arbeitsschritten über Monate hinweg geschaffenen Aquarelle sind dünne Schichten sowie scharfe Trocknungsränder, wobei sich aus der Verdichtung der Pigmente eine breitgefächerte Skala von hellen bis dunklen Farbräumen ergibt. Trotz oder gerade wegen ihrer Filigranität entfalten jene Werke eine ungemeine Anziehungskraft. Unabhängig davon, ob der Künstler für seine abstrakten Arbeiten ein kleines, mittleres oder großes Format wählt, stets ist die unmittelbare Energie der Farbe spürbar. Dieses Erlebnis wiederum führt zu der bereits ins Feld geführten
Erkenntnis über das Wesen der Kunst.

 

Slawomir Elsner: Rubens und Isabella Brant in der Geißblattlaube, 2024

 

Wie aber lässt sich eine Symbiose aus diesen scheinbar gegensätzlichen künstlerischen Ansätzen denken? Eine Antwort darauf gibt Elsner in der eingangs erwähnten Ausstellung Case Studies on Rubens, welche die Staatliche Graphische Sammlung München in der Pinakothek der Moderne im Sommer 2024 zeigt. In 17 sich zu einem monumentalen Zyklus verbindenden Werken setzt sich der Künstler als Zeichner wie Aquarellmaler mit einem der grandiosesten Gemälde der Barockmalerei auseinander, welches nur einen Steinwurf entfernt in der Alten Pinakothek im Original betrachtet werden kann: Peter Paul Rubens‘ Selbstbildnis mit seiner Frau Isabella Brant, besser bekannt als Die Geißblattlaube. Man darf gespannt sein, welches Kapitel nach Jahrzehnten gereifter Meisterschaft Elsner als nächstes aufschlagen wird.

 


Peter Paul Rubens: Rubens und Isabella Brant in der Geißblattlaube, um 1609/10