Mythos und Moderne
Kunstwerk der Woche
Franz von Stuck, Prometheus
Im Schaffen des Münchner Malerfürsten Franz von Stuck spielen Mythen eine zentrale Rolle. Oft verwendete er die Geschichten der antiken Götter, Halbgötter und Heroen als Metapher für Fragen seiner eigenen Zeit und betonte dadurch deren Aktualität. Das Gemälde Prometheus, welches zu Stucks letzten Hauptwerken zählt, ist hierfür ein charakteristisches Beispiel.
Die Moderne im Gewand der Antike
Kaum ein Künstler hat das Lebensgefühl des fin de siècle so konsequent in antikischen Denk- und Bildmustern zum Ausdruck gebracht wie Franz von Stuck. Besonders deutlich lässt sich die von ihm angestrebte Symbiose von Tradition und Moderne an seinem Atelier- und Wohnhaus ablesen, der Villa Stuck.
Fotografie der Villa Stuck, 1909
Mit seinem blockhaft geschlossenen und durch einem Portikus gegliederten Baukörper weckt der in den Jahren 1898/99 an der Münchner Prinzregentenstraße errichtete Prunkbau sowohl Assoziationen an griechische Tempelanlagen als auch an Arnold Böcklins berühmtes Gemälde Die Toteninsel. Dem entspricht die klassizistische Formensprache sämtlicher Elemente des Gebäudes. Dass es von seinem Erbauer als ein bis ins letzte Detail durchdachtes Gesamtkunstwerk konzipiert wurde, zeigt sich nicht zuletzt an den der Hauptfassade vorgesetzten Zypressen. Sie betonen den graeco-romanischen Charakter der Villa, welche die Aura einer feierlich-pathetischen Weihestätte der Kunst verströmt.
Arnold Böcklin, Die Toteninsel, 1883
Heroischer Kampf und vernichtende Niederlage
Mit symbolistischen Schlüsselwerken wie Die Sünde, Der Krieg oder Der Kuss der Sphinx hatte Franz von Stuck um die Jahrhundertwende große Erfolge gefeiert und war zu einem international bekannten Malerfürsten avanciert. Der Erste Weltkrieg betraf ihn zwar nicht unmittelbar, leitete jedoch einige wesentliche Veränderungen in seinem Werk ein. Als Patriot begrüßte Stuck den Kriegseintritt des Deutschen Kaiserreichs im August 1914 und ging gemäß der allgemeinen Propaganda von einem baldigen Sieg aus. Kurz darauf schuf er das Gemälde Feinde ringsum, welches einen furchtlosen Siegfried im Kampf gegen allseitig herannahende Angreifer zeigt. Es lässt sich als Metapher für die Einkreisung der Mittelmächte durch die Entente-Mächte und damit als nationalistisches Programmbild interpretieren. Der Symbolist Stuck war von nun an auch ein politischer Künstler.
Franz von Stuck, Feinde ringsum, 1914
Nach vier Jahren voller Leid und Elend endete der Erste Weltkrieg im November 1918 mit einer für Deutschland katastrophalen militärischen Niederlage. Die damit einhergehenden politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen wurden durch den Friedensvertrag von Versailles zusätzlich verschärft. Neben der nationalen Demütigung waren es vor allem territoriale Verluste sowie unerfüllbare Reparationsforderungen, die Deutschland wehrlos zu erdulden hatte. In der Prometheussage sah Stuck die adäquate Metapher, um diesen schweren Schicksalsschlägen Ausdruck zu verleihen.
Von der antiken Sage…
Die Prometheussage gehört zu den bekanntesten literarischen Stoffen der griechischen Antike. Im Mittelpunkt steht der dem Göttergeschlecht der Titanen entstammende Prometheus, der das Feuer von den Göttern raubt, um es den Menschen zu geben. In seinem Zorn verbannt der allmächtige Zeus Prometheus in das am Ende der Welt gelegene Kaukasusgebirge. Dort angekettet ist der Unsterbliche einem Adler ausgeliefert, der ihm täglich ein Stück seiner nachwachsenden Leber herausreißt. Zwar erlöst Zeus’ Sohn Herakles den leidenden Prometheus von seinen Qualen, indem er den Adler mit einem Pfeil tötet, doch befreit er ihn nicht von den Ketten. Begleitet vom Gesang der Okeaniden, den Töchtern des Meeres, ruft Prometheus den Himmel als Zeugen für seine ungerechte Pein an, während gewaltiger Donnerhall und grelle Blitze die Erde erzittern lassen. Über den Ausgang des Mythos existieren verschiedene Versionen. Sie reichen von der Begnadigung des Prometheus bis hin zu dessen ewiger Verdammnis.
…in die eigene Gegenwart
Franz von Stuck hat sich nur selten mit mythologischen Figuren auseinandergesetzt, die zu endloser Mühsal verurteilt, in existenzielle Bedrängnis geraten bzw. zu qualvoller Tatenlosigkeit verdammt sind. Zu den wichtigsten Beispielen zählen die jeweils in annähernd quadratischem Format ausgeführten und nach Entwürfen des Künstlers gerahmten Gemälde Sisyphos, Herkules und die Hydra sowie Prometheus. Sie alle entstanden während oder nach dem Ersten Weltkrieg.
Franz von Stuck, Sisyphos, 1920
Vor dem Hintergrund des verlorenen Krieges erscheint Stucks Prometheus wie eine zeitgeschichtliche Metapher für das Schicksal des deutschen Volkes. Durch die diagonale Positionierung des an einen Felsen geketteten Protagonisten verdeutlicht der Künstler dessen Ohnmacht, wobei der neben ihm wachende Adler als Chiffre für die Ausweglosigkeit seiner Situation steht. Darüber hinaus bilden das aufgewühlte Meer und die aus dem wolkenbedeckten Himmel niederzischenden Blitze eine bedrohlich-lautmalerische Stimmungskulisse. Einerseits trotzt Prometheus ihr stoisch, andererseits spiegelt sie seine Gefühlslage wider. Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass Prometheus willens ist, sich eines Tages wieder zu erheben und den ihm feindlich gesonnenen Göttern zu trotzen.
Franz von Stuck, Prometheus – Detailansichten
Rahmen und Bild als Gesamtkunstwerk
Ungeachtet seiner düsteren Grundstimmung vermittelt Stucks Prometheus eine feierliche Erhabenheit. Sie beruht auch auf dem vom Künstler aufwendig gestalteten Rahmen, dessen architektonisch-antikische Formensprache die Bedeutung des Bildes unterstreicht und es zu einem Gesamtkunstwerk erhebt. Damit griff Stuck für eines seiner letzten und durch mehrere Studien vorbereiteten Hauptwerke auf ein Verfahren zurück, das er bereits Jahrzehnte zuvor entwickelt hatte. So adaptierte er bei der Gestaltung des Prometheus-Rahmens Elemente seiner 1904 geschaffenen Sphinx. Auch deren Rahmen weist marmorierte Seitenflächen, einen umlaufenden Eierstab sowie ein unterhalb der Darstellung befindliches Feld mit dem in kapitalen Lettern eingravierten Titel des Gemäldes auf.
Franz von Stuck, Sphinx, 1904
Welche Bedeutung der Künstler seinem Prometheus beimaß, ist nicht zuletzt daran ersichtlich, dass er ihn im Jahr nach seiner Entstehung in der Kunstausstellung des Münchner Glaspalastes präsentierte. Als der Malerfürst im Sommer 1928 im Alter von 65 Jahren an den Folgen eines Herzschlages verstarb, erbte seine Tochter Mary das Gemälde. Es sollte bis zu ihrem Lebensende 1954 in der Villa Stuck verbleiben.