Auf nach Paris!

Kunstwerk der Woche

Julia Feininger, Kaffeehausszene in Paris

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Es war nicht nur Liebe auf den ersten Blick, sondern auch ein Glücksfall für die Kunst. Als sich Lyonel Feininger und Julia Berg 1905 in Berlin kennenlernen, spüren sie, dass sie füreinander bestimmt sind und gemeinsam Großes werden erreichen können. Vorher aber müssen sie ihr altes Leben hinter sich lassen und ganz von vorne anfangen. Welche Stadt böte hierfür bessere Voraussetzungen als Paris, die Stadt der Kunst und der Liebe?!

Auf neuen Wegen dem Glück entgegen

Ein Jahr lang hat es gedauert, aber nun ist es endlich soweit: als Lyonel Feininger und Julia Berg am 24. Juli 1906 in Paris ankommen, geht für das Liebespaar ein Herzenswunsch in Erfüllung. Mit diesem Schritt haben sie nicht nur endgültig mit ihren jeweils gescheiterten Ehen abgeschlossen, sondern auch das Tor zu einer gemeinsamen Zukunft im Zeichen der Kunst aufgestoßen.

Julia Berg und Lyonel Feininger in Paris, 1906

Photocredit: Moeller Fine Art Projects | The Lyonel Feininger Project, New York – Berlin

Zu diesem Zeitpunkt kann der 35-jährige Karikaturist Lyonel Feininger bereits auf eine respektable Karriere zurückblicken. Jüngst haben ihm seine in den Zeitschriften ULK, Lustige Blätter und Berliner Illustrirte Zeitung veröffentlichten Beiträge sogar Aufträge aus den USA verschafft. Dort erreicht Feininger mit seinen wöchentlich in der Chicago Sunday Tribune abgedruckten Comicserien The Kin-der-Kids sowie Wee Willie Winkie’s World ein Millionenpublikum.

Lyonel Feininger, Selbstporträt als Marionettenspieler, 1906

Und Julia Berg? Endlich hat die 26-jährige Künstlerin wieder Freude an der Arbeit gefunden, nachdem sie sich im Herbst 1905 an der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule in Weimar eingeschrieben hat. Durch die Wahl des Studienortes wollte sie nicht zuletzt auch Abstand zu ihrem in Berlin lebenden Noch-Ehemann gewinnen. Dass der ebenfalls von seiner Frau getrennt lebende Lyonel oft nach Weimar kam, um mit ihr zu arbeiten und Zukunftspläne zu schmieden, ließ den Himmel schon seit Monaten voller Geigen hängen.

Zwischen Kunst und Bohème

Was Lyonel und Julia eint, ist nicht nur eine auf tiefem gegenseitigem Verständnis beruhende Liebe, sondern auch das Streben nach künstlerischer Erneuerung. Um diesem Ziel näher zu kommen, besuchen sie in Paris die Académie Colarossi, eine für ihre modernen Lehrmethoden weithin bekannte Privatakademie. Anschließend diskutieren und vertiefen die beiden das Gelernte im gemeinsamen Atelier. Kann man sich einen schöneren Arbeitsalltag vorstellen?

Julia Berg und Lyonel Feininger im Pariser Atelier, 1906

Photocredit: Moeller Fine Art Projects | The Lyonel Feininger Project, New York – Berlin

Im Café du Dôme, dem unter deutschen Künstlern beliebtesten Treffpunkt der Stadt, knüpft das Paar bald Kontakte zu Gleichgesinnten. Dort schnappen Lyonel und Julia nicht nur die neuesten Ideen und Gerüchte aus der Kunstwelt auf, sondern finden auch allerlei dankbare Motive für ihre Arbeit. Als passionierte Beobachter haben es ihnen vor allem die Vertreter der Bohème angetan. Diese lassen sich leicht an ihrem auffälligen Erscheinungsbild sowie unkonventionellen Verhalten erkennen, durch das sie sich von der Bourgeoisie abgrenzen.

Deutsche Künstler im Café du Dôme, 1910

Flott gelebt!

Eine für das Milieu der Bohème überaus typische Szene schildert Julia mit flottem Strich und augenzwinkerndem Humor in der Tuschzeichnung Kaffeehausszene in Paris.

Julia Feininger, Kaffeehausszene in Paris – Detailansichten

In dem von Lyonels Karikaturen inspirierten Werk flaniert eine aufreizend gekleidete junge Frau mit ausladendem Hut zwischen den voll besetzten Tischen eines Cafés und hält gezielt Ausschau nach spendierfreudigen Herren. Mit sicherem Gespür hat sie zwei potentielle Opfer entdeckt, denen sie ein eindeutig zweideutiges Lächeln schenkt. Keine Frage: wenn sich die beiden nicht beeilen, dann lässt sich die schöne Unbekannte bald an einem anderen Tisch auf ein Glas Champagner eingeladen. A votre santé mes amis!

Eine Muse namens Julia

Doch auch Lyonel, der seit Jahren weder Palette noch Ölfarben angerührt hat, verdankt Julia wichtige Impulse. Dank ihr beschäftigt er sich ab April 1907 intensiv mit der Malerei und macht in dieser Technik innerhalb kürzester Zeit bemerkenswerte Fortschritte. Damit legt er den Grundstein zu einer entscheidenden Erweiterung seines Oeuvres, das ihn zu einem Pionier der Moderne werden lässt.