Ein Deutscher in Paris

Kunstwerk der Woche

Vor dem Spiegel

Wilhelm Gallhof, Vor dem Spiegel

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Kunstgeschichte ist oft ungerecht. Warum ein Künstler in ihren Kanon aufgenommen wird oder nicht, erklärt sich häufig aus Umständen, die weder mit Talent noch Anerkennung zu tun haben. Ein Beispiel hierfür ist der im Ersten Weltkrieg gefallene Maler Wilhelm Gallhof.

Schüler bei Lovis Corinth

Berlin um 1900: die aufstrebende Hauptstadt des wilhelminischen Kaiserreichs strengt sich an, der bislang führenden deutschen Kunstmetropole München den Rang abzulaufen. Ihr größter Trumpf sind dabei die Maler Max Liebermann, Max Slevogt und Lovis Corinth, für die der Galerist Paul Cassirer den Begriff Dreigestirn des deutschen Impressionismus prägt. Damals wie heute gilt Corinth als der künstlerisch progressivste unter ihnen. Darüber hinaus bildet er eine Reihe begabter junger Maler aus und verhilft damit dem Impressionismus zu noch größerer Bedeutung. Einer seiner vielversprechendsten Schüler ist Wilhelm Gallhof.

Café du Dôme

Ein Deutscher in Paris

Auf Anraten Corinths geht Gallhof 1905 nach Paris. Wie viele junge Künstler aus ganz Europa genießt er dort das ungezwungene Leben der Bohème und taucht in die Welt der Cafés und Etablissements ein. Gallhofs Stammlokal wird das am Montparnasse gelegene Café du Dôme, einem Hotspot der internationalen Avantgarde, wo unter anderem auch Lyonel Feininger, Henri Matisse, Amedeo Modigliani und Pablo Picasso verkehren. Schon bald konzentriert sich Gallhof in dem an Malmodellen reichen Paris fast ausschließlich auf die Aktmalerei.

Ausstellungsraum der Galerie Franz Josef Brakl

Durchbruch in München

Es dauert nicht lange, bis Gallhof mit seinen in Paris entstandenen Gemälden in der Münchner Secession von sich Reden macht. Der Durchbruch gelingt ihm schließlich 1910, als der einflussreiche Galerist Franz Josef Brakl eine Einzelausstellung mit 53 seiner Werke zeigt. Wenig später erscheint eine euphorische Besprechung in der renommierten Zeitschrift Die Kunst für Alle:

Bei Brakl zeigt er uns in einer ersten Kollektivausstellung sein Werk, das turbulent genug ist, aber in einer energischen, kaum bezähmbaren malerischen Kraft, die es kündet, ein ähnlich starkes Temperament vermuten läßt, wie es in Corinth und Slevogt steckt. Gallhofs Thema ist das Weib, nicht das minniglich-sittige, nicht die „teutsche frowe“, sondern die Rassige, Heiße, die Bestie.

Schau genau

Das Gemälde Vor dem Spiegel wird im Brakl-Katalog an dritter Stelle genannt und war mit 1.500 Reichsmark eines der teuersten Exponate der Ausstellung. Die Ausschnitthaftigkeit der Komposition, der flüssige Pinselduktus sowie die Intimität des Motivs stehen in bester Tradition des Impressionismus. Das bauschige helle Kleid mit den rosa Schleifen findet kompositorisch und farblich seinen Gegenpart in dem an der Türklinke aufgehängten dunklen Mantel. In diese optische „Klammer“ setzt Gallhof das jugendlich schöne Modell, das sich in selbstbewusster Pose als Akt vor dem Spiegel betrachtet. Seinen Körper hat es dem Betrachter nur halb zugewandt, sein im verlorenen Profil wiedergegebenes Gesicht ist abgewandt. Durch die Reflexion des frontal aufgeklappten Schrankspiegels nimmt die attraktive Frau jedoch Blickkontakt mit dem Betrachter auf. Zugleich ergibt sich für Gallhof aus dieser Situation die Möglichkeit, den Akt noch in einer weiteren Ansicht zu zeigen und den Bildraum zu erweitern. So entsteht ein „Bild im Bild“. Die optische Erweiterung nutzt der Künstler zudem zur Erzeugung atmosphärischer Eindrücke. Durch die weiß-blau gestreiften Vorhänge fällt helles Licht, wodurch im Zusammenspiel mit dem Kleid unweigerlich die Assoziation an einen heiteren Frühlings- oder Sommertag entsteht.

 

Wilhelm Gallhof, Vor dem Spiegel – Detailansichten

Nach einem derart glanzvollen Karriereauftakt erscheint es umso tragischer, dass Gallhof zu Beginn des Ersten Weltkrieges als Soldat eingezogen wird und sein Schaffen nicht fortsetzen kann. Wie viele andere Künstler fällt er in Frankreich, dem er so viel zu verdanken und das er so geliebt hat.