Im Honeymoon mit Dodo

RIZE
Edition 2021, Seite 216-219

Flitterwochen

Dodo, Honeymoon

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Zwischen Künstlerischem Höhenrausch und persönlicher Talfahrt

Sie zählte zu den bekanntesten Künstlerinnen im Berlin der Goldenen 1920er Jahre. Wie keine Zweite analysierte DODO, selbst ein IT-Girl dieser Zeit, das exaltierte Lebensgefühl der oberen Zehntausend in der Weimarer Republik und setzte es satirisch ins Bild. Dabei machte sie auch nicht vor sich und ihrem engsten Umfeld halt, wie ihr autobiographisch gefärbtes Werk Flitterwochen zeigt.

Diese attraktive Frau fackelte für gewöhnlich nicht lange, sondern schritt am liebsten gleich zur Tat. Doch der Reihe nach: Mit nicht einmal 20 Jahren beendet die 1907 in eine gutbürgerliche jüdische Familie  hineingeborene Dörte Clara Wolff, die sich DODO nennt, ihre Ausbildung zur Grafikerin an der Berliner Kunst- und Gewerbeschule Reimann. Unmittelbar darauf beginnt sie für diverse Modeblätter zu arbeiten und spezialisiert sich auf die Darstellung elegant gekleideter junger Damen. Diese Frühwerke belegen nicht nur DODOs untrüglichen Blick für raffinierte modische Details sowie das Selbstverständnis der modernen Frau, sondern auch ihre Fähigkeit, den Chic des Art Déco mit der Klarheit der Neuen Sachlichkeit zu verbinden. Hieraus entwickelt sie einen unverwechselbaren Stil, der sie als Illustratorin des auflagenstarken Satiremagazins ULK innerhalb kurzer Zeit berühmt macht. Zwischen 1926 und 1929 publiziert das Blatt über 60 meist ganz- bzw. doppelseitig abgedruckte Aquarelle und Gouachen von ihr, deren grafische Prägnanz und leuchtende Farbigkeit bis heute ins Auge stechen. Sie sind nicht nur emblematisch für die Kunst und das Lebensgefühl der Golden Twenties, sondern markieren auch den Höhepunkt in DODOs viel zu kurzem Schaffen.

Ihre Sorgen

DODO, Ihre Sorgen

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Was könnte einer selbstbewussten, finanziell unabhängigen jungen Künstlerin, die sich als gerngesehener Gast im mondänen Gesellschaftsleben der Millionenmetropole Berlin bewegt, bloß noch zu ihrem Glück fehlen? Richtig: der geeignete Mann an ihrer Seite. 1928 lernt DODO den betuchten 25 Jahre älteren Notar Dr. Hans Bürgner kennen. Es dauert nicht lange, bis sich die Künstlerin in den gutaussehenden Salonlöwen verliebt und ihm – wen wundert’s? – kurzentschlossen einen Heiratsantrag macht. Das Ja-Wort ist kaum gegeben, da geht es im Januar 1929 auch schon zum Honeymoon in die Schweizer Berge. In St. Moritz steigt das Paar im noblen Suvretta House ab, wo der Bräutigam seit Jahren Stammgast ist. Nicht nur Bürgners persönlicher Skilehrer ist erstaunt, als er vom Eheschluss des vormals als eingefleischten Junggesellen geltenden Frauenschwarms erfährt. Ob diese Beziehung lange halten kann? Tatsächlich ziehen in diesen Tagen erste dunkle Wolken am Himmel des frisch vermählten Paares auf. Anstelle von geselligem Après-Ski
wünscht DODO sich intime Zweisamkeit. Ihre Abneigung gegen alpine Sportarten macht die Situation nicht leichter…

Doch DODO wäre nicht DODO, wenn sie ihren Honeymoon künstlerisch unverarbeitet gelassen hätte. Als Hans Bürgner wie hunderttausende andere Leser im Februar 1929 die neueste Ausgabe des Ulk aufschlägt, fällt sein Blick auf die Zeichnung Flitterwochen, die eindeutig ihn und seine Frau wiedergibt. Vor majestätischer Bergkulisse stehen die beiden alleine auf einer überdachten Terrasse und blicken in das zu ihren Füßen liegende Tal. Der rote Himmel taucht die verschneiten Gipfel in ein rosa schimmerndes, romantische Stimmung
verleihendes Abendlicht. Ihre Körperhaltung suggeriert Nähe und Vertrautheit. Doch ihre zugekniffenen Augen und in die Ferne schweifenden Blicke lassen die Trübung im frühen Eheglück erahnen. Dieser Eindruck wird durch den Dialog der beiden zusätzlich verstärkt. Nicht ohne ironischen Unterton bemerkt sie: „Herrlich, diese majestätische Winterlandschaft. Ich fühle mich jetzt schon ganz vergletschert.“ Woraufhin er erwidert: „Lass uns rasch nach Ägypten fahren, Mädchen, damit du wieder auftaust.“

Suvretta House, St. Moritz

Die unterschiedlichen Vorstellungen von einem Leben zu zweit werfen wenig später immer dunklere Schatten auf DODOs Beziehung zu Hans Bürgner. Als emanzipierte Frau kann sie den schrittweisen Verlust ihrer Selbstständigkeit, die mit ihrer Rolle als Ehefrau und später zweifacher Mutter einhergeht, kaum verwinden. Hinzu kommt, dass sie infolge der Weltwirtschaftskrise Ende 1929 ihre Aufträge bei ULK verliert. Damit büßt DODO nicht nur ihre eigenen Verdienstmöglichkeiten ein, sondern auch ihre Geltung als Künstlerin. Wenig später mutiert ihr Privatleben vollends zu einer emotional dramatischen Achterbahnfahrt, mit zahlreichen Affären, Scheidung und zweiter Ehe. Die politisch bedingte Emigration nach England 1936 markiert schließlich eine herbe Zäsur in ihrer Biografie. Eine Konstante wird jedoch ihr Privatleben in London kennzeichnen: Sie wird ihren ersten „Honeymoon“-Ehemann ein zweites Mal heiraten…

Im Exil kann DODO nicht mehr an die Erfolge der Berliner Jahre anknüpfen und stirbt 1997 im Alter von 90 Jahren künstlerisch vergessen im Familienkreis in London. Anderthalb Jahrzehnte später wird das Schaffen dieser schillernden Persönlichkeit, deren Kunst und Leben zwischen Höhenrausch und Talfahrt schwankte, durch mehrere internationale Ausstellungen wieder einem breiten Publikum bekannt gemacht.