Inferno über den Wolken

Kunstwerk der Woche

Zeppelins Schatten

Heinrich Kley, Zeppelins Schatten

Zum Werk >

Zeppelins Schatten

Heinrich Kley zählte zu den bekanntesten Mitarbeitern der 1896 gegründeten Münchner Satirezeitschrift Simplicissimus. Über Jahrzehnte hinweg nahm sie Stellung zu aktuellen Fragen des gesellschaftlichen, sozialen und politischen Lebens und wurde vor allem wegen ihrer bissigen Karikaturen geschätzt. Dies zeigt sich auch in der politisch aufgeladenen Karikatur Zeppelins Schatten von Heinrich Kley.

Thomas Theodor Heine, Simplicissimus-Plakat

Pardon wird nicht gegeben!

Als 1908 erstmals eine Karikatur von Heinrich Kley im Simplicissimus erschien, war dieser bereits seit einigen Jahren Deutschlands populärste Satirezeitschrift. Der Erfolg des Blattes beruhte hauptsächlich auf der künstlerischen Qualität seiner Bildbeiträge, die ein fester Stab von Mitarbeitern lieferte. Zu ihm zählten Thomas Theodor Heine, Olaf Gulbransson, Ferdinand von Reznicek, Eduard Thöny und Rudolf Wilke. Die Angriffslust des von der Zensur beobachteten und gelegentlich konfiszierten Simplicissimus spiegelte sich auch in dessen „Wappentier“ wider: eine breitbeinig dem Betrachter gegenüberstehende rote Bulldogge, die sich von der Kette gerissen hat und die Zähne fletscht. Mit einer Auflagenhöhe von bis zu 100.000 Exemplaren pro Ausgabe entfaltete der Simplicissimus in der Tat eine beachtliche Breitenwirkung und befeuerte den politischen Diskurs im deutschen Kaiserreich.

Kaiser Wilhelm II und König Eduard VII während der Kieler Woche 1904

Zu Wasser und in der Luft

Zu den beliebtesten Angriffsflächen des Simplicissimus zählten die europäischen Monarchen, allen voran Kaiser Wilhelm II. Doch auch König Eduard VII, der seiner Mutter Queen Victoria auf dem englischen Thron nachgefolgt war, bot aufgrund seines exzessiven Lebensstils reichlich Stoff für die Zeichenstifte der Karikaturisten. Darüber hinaus trat er im Simplicissimus häufig im Zusammenhang mit der Frage nach dem deutsch-britischen Flottenwettrüsten in Erscheinung. Dieser außenpolitische Konflikt entzündete sich an dem Bestreben Kaiser Wilhelm II, die politische und wirtschaftliche Stellung Deutschlands durch den massiven Ausbau der Marine zu festigen. Daneben beobachtete man in England den Bau von Zeppelinen mit großer Sorge. Denn die nach ihrem Erfinder Ferdinand Graf Zeppelin benannten Luftschiffe wurden nicht nur für zivile, sondern auch für militärische Zwecke eingesetzt.

links: Ferdinand Graf Zeppelin / Landung eines Zeppelins – rechts: Schlachtkreuzer der kaiserl. Marine SMS von der Tann

So fern und doch so nah

In der aquarellierten Zeichnung Zeppelins Schatten zeigt Heinrich Kley das britische Inselreich aus der Vogelperspektive. Auf einem wappengeschmückten Bett, unter dem neben einer Krone ein Nachttopf zu erkennen ist, wälzt sich Eduard VII in unruhigem Schlaf. Offenbar wird der Monarch von Alpträumen gequält. Der Grund ist ein über ihm schwebendes Objekt, das sich von Deutschland her nähert. Allerdings ist von dem länglichen Flugschiff nur der spitz zulaufende Schatten zu sehen, der sich wie ein riesiges Torpedo durch das schutzlose England bohrt. Die Bedrohlichkeit der Szene wird durch die scheinbare Unangreifbarkeit des in weiter Entfernung befindlichen Zeppelins zusätzlich gesteigert. Wer könnte bei solch einem Schreckensszenario schon ruhig schlafen?

Heinrich Kley, Zeppelins Schatten – Detailansicht

Inferno über den Wolken

Sechs Jahre nach Veröffentlichung von Kleys Zeichnung brach der Erste Weltkrieg aus, in dem sich England und Deutschland als erbitterte Feinde gegenüberstanden. Nun kamen auch die Zeppeline zum Einsatz. Aufgrund ihrer fast lautlosen Fortbewegung konnten sie vom Feind erst verhältnismäßig spät geortet werden und schienen damit sowohl für Aufklärungsmissionen als auch Bombenangriffe ideal geeignet. Ihre niedrige Geschwindigkeit und geringe Manövrierfähigkeit machten sie jedoch schon bald zu einem leichten Ziel der britischen Luftwaffe. Von insgesamt 102 deutschen Zeppelinen wurden 70 zerstört und ihr Einsatz schließlich eingestellt. Der Mythos Zeppelin aber lebt bis heute.