Venus trägt Tattoos

Abendzeitung
Dienstag, 20. Juni 2020

Suleika gab’s wirklich, meistens trat sie allerdings unter ihrem Künstlernamen Maud Arizona auf. Mit ihren Ganzkörpertätowierungen war sie um 1920 eine Attraktion in der Varieté- und Zirkusszene. Deshalb mussten stapelweise Postkarten mit ihr gedruckt werden.

 

Mit spitzem Griffel hat Otto Dix den Alltag der 20er Jahre kommentiert und immer wieder Kuriositäten aufgegabelt. Ein Highlight ist eine gewisse „Suleika“.

Ob die Männer diesem Schlafzimmerblick erlegen sind? Den weiblichen Rundungen und den Posen? Oder waren sie womöglich so sehr mit dem Studium der unzähligen Tätowierungen beschäftigt, dass ihnen dabei die erotischen Reize der grotesken Attraktivität ganz abhanden kamen?

Otto Dix hat dieser Dame – „Suleika“ heißt sie – 1922 immerhin eine imposante Kaltnadelradierung gewidmet. Sie ist Teil einer „Zirkus“-Mappe, die mit einer 50er Auflage im Eigenverlag erschien. Und wer die ätzenden Karikaturen des Malers aus Gera kennt, muss zugeben, dass „das tätowierte Wunder“ im Stil einer antiken Venus ausgesprochen gut wegkommt. Dix hatte einen Hang zu Außenseitern – dafür standen damals Tattoos. Er lenkte den Blick auf die Verlierer, die Abgestürzten, Krüppel, Prostituierten, Bettler und Heimatlosen. Wobei im Fall der „Suleika“ sicherlich das Bizarre den Ausschlag gab.

Der 1891 geborene Künstler hatte im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft, sein grandioser Zyklus „Der Krieg“ (1924) ist ein schockierendes Zeugnis dieser Erlebnisse. Dass es mit der „Schönmalerei“ ein für alle Mal vorbei war, liegt auf der Hand. Und also wurde Dix zum schonungslosen Chronisten der 1920er Jahre, die sich nur für einen überschaubaren Teil der Bevölkerung als „golden“ erwiesen.

Otto Dix, Maud Arizona

Otto Dix‘ Radierungg „Suleika“ stammt aus der „Zirkus“-Mappe. Sie entstand 1922.

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Wo ihm die kuriose Suleika untergekommen ist, ob im Zirkus Busch in Hamburg oder im Zirkus Sarrasani in Dresden, lässt sich nicht mehr klären. Doch wie man sieht, gab es die Dame wirklich – unter dem Namen Maud Arizona war die Tattookünstlerin um 1920 eine Berühmtheit. Und selbstredend wurden von ihr auch werbende Postkarten gedruckt (siehe oben).

Während ihr Mann im Krieg war, ließ sich Genovefa tättowieren.

Dabei begann Mauds Leben ganz brav in der österreichischen Provinz: 1888 wurde sie in Löchau als Genovefa Weisser geboren. Es drängte sie früh in die Großstadt, nach Wien, wo sich die junge Frau als Hausangestellte beziehungsweise als Stubenmadl ihr Geld verdient hat. Dort lernte sie dann auch ihren künftigen Mann kennen. Die beiden Glückssucher gingen nach Berlin und Dortmund, wo sie auf den Schausteller und Tätowierer Rudolf Schulz trafen. Und während ihr Gatte in den Krieg ziehen musste, wurde Genovefa – bald komplett mit Ornamenten und Zeichnungen übersät – Mitglied in Schulz‘ Truppe. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Tattoo-Queen alle Blicke auf sich lenkte. Und Impresario Schulz wusste sie perfekt zu inszenieren und zu vermarkten. Maud Arizona alias Duleika wäre heute noch eine Attraktion, obwohl mittlerweile jeder Fünfte in Deutschland quasi fürs Leben gezeichnet ist.

Otto Dix hat den Varieté-Star übrigens auch auf einem Gemälde verewigt, das sich vermutlich in einer italienischen Privatsammlung befindet. Auf die Radierung trifft man dagegen in einigen wichtigen öffentlichen Sammlungen – und momentan noch in der Kunsthandlung von Alexander Kunkel, dem Münchner Spezialisten fürs 19. und 20. Jahrhundert. Suleika hat dort allerdings ihren Preis.

Christa Sigg