Sommer, Sonne, Strand und ein impressionistisches Meisterwerk

Kunstwerk der Woche

Lovis Corinth, Paraphrase (Porträt Charlotte Corinth)

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Als sich die 21jährige Charlotte Berend 1901 bei Lovis Corinth vorstellte, um in dessen Malschule einzutreten, markierte dies den Wendepunkt in ihrer beider Biographie. Schnell wurde die Schülerin zur Muse des Malers, in dessen Werk sie fortan eine zentrale Rolle spielte. Die impressionistische Leichtigkeit des 1907 am Timmendorfer Strand entstandenen Gemäldes Paraphrase ist von der Liebe des Künstlers zu seiner Frau inspiriert.

Der Malerstar und seine Frau

Um 1900 galt Lovis Corinth nicht nur als eines der progressivsten, sondern auch umstrittensten Talente der deutschen Kunstszene. Heftige Widerstände, Anfeindungen und Skandale hatten ihm den Ruf eines enfant terrible eingebracht, doch war dies seiner Karriere letztlich mehr förderlich als hinderlich. Der entscheidende Durchbruch gelang dem gebürtigen Ostpreußen schließlich mit dem Gemälde Salome in Berlin, wohin er 1901 nach Aufenthalten in Paris und München zog. Im Umkreis der Berlin Secession feierte Corinth bald große Erfolge und bildete nach den Worten des Galeristen Paul Cassirer zusammen mit Max Liebermann und Max Slevogt das Dreigestirn des deutschen Impressionismus.

Lovis Corinth, Salome, 1900

Von entscheidender Bedeutung für Corinths Leben und Werk wurde die Begegnung mit Charlotte Berend. Ab dem Zeitpunkt ihres Kennenlernens 1901 stand sie ihm als verständnis- und liebevolle Partnerin zur Seite, die sich bis an ihr Lebensende unermüdlich für sein Schaffen einsetzte. Neben zahlreichen Aufzeichnungen zeugen vor allem Lovis‘ etwa 80 Porträts von ihr in Öl von der glücklichen Beziehung des Paares. Sie zeigen die Geliebte, Ehefrau und Mutter seiner beiden Kinder in teils sehr unterschiedlichen Momenten, Situationen und Rollen. All diesen Werken ist ein hoher Grad an emphatischer Einfühlung seitens des Malers für sein bevorzugtes Modell zu eigen. Die Gemälde haben damit nicht nur biographischen Charakter, sondern auch eine ungemein intime Aussagekraft, die sie zu Zeugnissen einer der wohl erfülltesten Liebesbeziehungen zwischen zwei Künstlern im 20. Jahrhundert machen.

Lovis Corinth, Selbstporträt mit seiner Frau und Sektglas, 1902

Ein Schaum von Spitzen

Als Lovis und Charlotte Corinth 1907 die Sommerferien an der Ostsee am Timmendorfer Strand verbrachten, um sich von dem hektischen Berliner Kunstbetrieb zu erholen, hatte der Künstler seine lockere impressionistische Malweise bereits voll entwickelt. Sein allgemeiner Drang, den Reiz des Flüchtigen unmittelbar einzufangen, ist in dem Paraphrase genannten Ölgemälde deutlich spürbar. Über dessen Entstehungsumstände schrieb Charlotte ein halbes Jahrhundert später:

An einem solch heißen Tage fuhren wir zum Strand hinunter, der ziemlich weit weg von unserer gemieteten kleinen Wohnung entfernt lag. Um mich etwas vor der Sonnenbestrahlung zu schützen, hatte ich während der Fahrt meinen weißen Spitzenschal über die Haare gelegt. Am nächsten Tage sagte Corinth: „Ich würde dich gern so malen, wie ich Dich gestern im Wagen sah – im hellgelben Kleid mit den vielen Spitzen und dem Spitzenschal über Deinem Kopf. Aber ich müßte dasselbe helle Mittagslicht haben – beinah schattenlos. Ich dachte, ob man in der Laube von unserem kleinen Garten das ausprobieren sollte.Wir gingen zur Laube, und Lovis war begeistert. „Ja! Tatsächlich, ich werde um 12 Uhr das volle Licht haben.“

Familie Corinth am Timmendorfer Strand, 1907

Und weiter: „Er begann das Bild und meinte: „Ich sage Dir, es sieht großartig aus. Wie in einem Schaum von Spitzen sitzt Du. Vielleicht glückt es mir, auf einen Hieb fertig zu werden, denn es mag sein, dass morgen schon wieder Regenwetter ist.“ Er malte das Bild bei der ersten Sitzung beinah fertig, dann rief er: „Das Licht ändert sich, ich höre auf. Ich brauche morgen nur noch höchstens eine Stunde. Aber die Partie von den Händen zwischen den Spitzen ist so schön, die will ich morgen mit frischen Kräften malen.“ Lovis hatte am folgenden Tag nochmals „sein richtiges Licht“ und beendete das Bild. „Es sieht einfach prachtvoll aus, wie Du so dasitzest, mein Petermannchen“, rief er immer wieder.

Die reine Malerei

Corinths begeisterte, fast ekstatische Stimmung beim Malen schlägt sich in dem vibrierend-virtuosen Duktus sowie den leuchtenden Farben des Gemäldes nieder. Charlotte ist nahezu in Lebensgröße als Halbfigur in einem nur angedeuteten Korbstuhl sitzend wiedergegeben. Ihr aufmerksamer Blick trifft den des Betrachters, was ihre Präsenz zusätzlich steigert. Die auf dem Schoß ruhenden, ineinandergelegten Hände verströmen eine gelassene Stimmung. Diese spiegelt sich auch in ihrem Gesichtsausdruck wider. Ein Meer aus flirrenden Pinselstrichen in zartem Weiß-Grau, Gelb, Lachsrosa und Bläulich-Violett fügt sich zu dem delikaten Spitzenkleid, welches dem Maler den Anlass für das Bild gab. In dieses setzt er als ein das Gesamtgefüge zentrierendes und zugleich akzentuierendes Element eine dunkle Brosche. Darüber hinaus wird der sommerliche Charakter des Gemäldes durch das leuchtende Grün der Laubenbepflanzung betont.

 

Lovis Corinth, Paraphrase – Detailansichten

Wenn Kritiker grollen

Nach der glücklich verbrachten Sommerfrische stand das Gemälde noch längere Zeit in Corinths Berliner Atelier auf der Staffelei. Charlotte berichtete, wie es seinen Titel erhielt: „Dort sah es Alfred Kerr, während Lovis ihn malte. Dr. Kerr fand sich „nicht gerade geschmeichelt“ auf seinem Porträt. Als er das meine auf der Staffelei sah, meinte er sarkastisch: „Und da wir beim Thema ‚Schmeichelei‘ sind, möchte ich das Porträt von Ihnen, Charlotte, eher als ‚Paraphrase‘ bezeichnen.“ Lovis, der jeder Ironie zugeneigt war, niemals gekränkt vom Urteil eines geistvollen Menschen, lachte. Von nun an nannten wir das Bild „Die Paraphrase“. „Und dabei“, sagte Corinth, „ist es sogar sehr ähnlich, aber Kerr kann das nicht so sehen.

Lovis Corinth, Alfred Kerr, 1907

In der Forschung ist häufig festgestellt worden, dass Corinths Porträts in den besten Fällen über die bloße Wiedergabe des Dargestellten hinausragen. Als Bestätigung dieser These ließen sich die Ausführungen des berühmten Theaterkritikers Alfred Kerr an Charlottes Bildnis – ins Positive gewendet – heranziehen. Dass sich Corinths künstlerisches Ingenium im Bereich der Porträtkunst am leidenschaftlichsten bei Menschen entfaltete, die ihm am nächsten standen, dafür ist die Paraphrase in jedem Fall ein glänzender Beleg. Diese spezifische Qualität erkannte auch der mit Corinth befreundete Frankfurter Sammler Dr. Oscar Pinner, der das Bild wenig später erwarb und dessen Tochter Erna ab 1908 bei dem Maler studierte.

Im Gegensatz zu etwa Max Liebermann strebte Corinth in seinen Bildnissen nicht primär nach Objektivität, sondern fasste sie als persönliche Bekenntnisse auf, die meist aus einer ganz bestimmten Lebenssituation heraus entstanden. Häufig gerieten dabei die Porträtsitzungen zu einem sowohl für den Maler als auch das Modell ungemein intensivem Erlebnis. Dieser subjektivistische Ansatz erklärt die manchmal verblüffende Verschiedenheit in den Darstellungen ein und derselben Person im Werk des Künstlers. Gerade aber dieser Umstand macht die bis heute anhaltende Faszination von Corinths Porträts aus.

Lovis Corinth, Porträt Charlotte Corinth in brauner Bluse, 1910

Lovis Corinths Porträts seiner Frau Charlotte zählen zu den persönlichsten und intimsten Werken des Malers, in denen sich die Wechselwirkung von Künstlerischem und Menschlichem, Sinnlichem und Seelischem unmittelbar mitteilt. Viele von ihnen haben Eingang in einige der wichtigsten Museumssammlungen Europas und der USA gefunden. Die Paraphrase gehört zu den letzten repräsentativen Beispielen dieses Werkkomplexes in Privatbesitz.