Groteske Venus

Kunstwerk der Woche

Otto Dix, Maud Arizona

Otto Dix, Maud Arizona (Suleika das tätowierte Wunder)

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Als Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit schuf Otto Dix eine gleichermaßen breitgefächerte wie schonungslose Chronik der 1920er Jahre. Vorzugsweise befasste er sich mit den Außenseitern der Gesellschaft, deren Habitus und Schicksal er eindringlich vor Augen führte. Ein charakteristisches Beispiel hierfür ist sein Porträt der Tattookünstlerin Maud Arizona.

Von Alten Meistern und neuen Zeiten

Dresden bis 1914: Die sächsische Residenzstadt an der Elbe zählt zu den führenden Kunstzentren Deutschlands. Aus der Symbiose von Tradition und Moderne entstehen vielfältige künstlerische Impulse, die der junge Otto Dix begierig in sich aufnimmt. Unter anderem besucht er immer wieder die weltberühmte Gemäldegalerie, um sich mit den Werken Albrecht Dürers und Lucas Cranachs auseinanderzusetzen. Denn auch nach über 400 Jahren spürt Dix die ungeheure Kraft, die in deren feinmalerischer Perfektion, Sinn für Symbolik und Hang zur Drastik liegt. Sie werden sein zukünftiges Schaffen maßgeblich prägen.

Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden

Dresden nach 1918: Infolge der militärischen Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg kollabiert das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche System des Kaiserreichs. Wie im Rest der Weimarer Republik kann man auch im konservativen Dresden nur wenig mit der neuen demokratischen Staatsform anfangen. Zudem wimmelt das Straßenbild von Proletariern, Kriegskrüppeln und Prostituierten. Doch worin der brave Bürger den Untergang des Abendlandes sieht, erkennen manche Künstler ein reiches Reservoir an Motiven. Zu ihnen zählt Dix.

Groteske Venus

1919 nimmt Otto Dix sein durch den Ersten Weltkrieg unterbrochenes Studium an der Dresdener Kunstakademie wieder auf. Die Erlebnisse als Frontsoldat machen es ihm unmöglich, noch an die klassischen Ideale der Kunst zu glauben. Stattdessen demontiert er sie mit den Mitteln der Satire, Groteske und Verfremdung. Das 1920 in altmeisterlicher Technik gemalte Porträt der Maud Arizona ist hierfür ein prägnantes Beispiel.

Otto Dix, Maud Arizona

Dix zeigt die annähernd in Lebensgröße wiedergegebene Tattookünstlerin auf einer Bretterbühne stehend. Gemalte rote Samtvorhänge sowie orientalisch anmutende Architekturelemente sollen den Anschein von Exklusivität und Exotik erwecken, sind jedoch bereits auf den ersten Blick als billiger Kulissenzauber zu erkennen. Wie eine antike Venus platziert der Künstler die entblößte Artistin in gezierter Pose auf einem Podest. Detailverliebt schildert er ihre kaleidoskopartig über Beine, Brüste und Arme verteilten Tattoos. Typische Motive aus der Welt der Matrosen und des Zirkus stehen neben militärischen und politischen Symbolen, so dass ein groteskes Wimmelbild entsteht. Maud Arizonas über den Betrachter hinweggleitender „Schlafzimmer-Blick“ ermöglicht es diesem, sich ungeniert seiner voyeuristischen Schaulust hinzugeben. Zugleich erhält das Gemälde dadurch eine humoristische Note.

Wer war Maud Arizona?

Obwohl man Dix‘ Darstellung leicht für eine frei erfundene Groteske halten könnte, bezieht sie sich auf eine reale Person. Maud Arizona wurde 1888 als Genofeva Weisser im österreichischen Löchau geboren und arbeitete in jungen Jahren als Hausangestellte in Wien. Dort lernte sie ihren künftigen Ehemann Siegmund Forst kennen, mit dem sie 1912 nach Berlin und später nach Dortmund zog. Während Siegmund Forst im Ersten Weltkrieg als Soldat in Montenegro diente, machte seine Frau die Bekanntschaft des Schaustellers und Tätowierers Rudolf Schulz. Dieser tätowierte sie am ganzen Körper und nahm sie in seine Truppe auf.

Ansichtskarte, Maud Arizona

Ab diesem Zeitpunkt nannte Genofeva sich Maud Arizona, wobei der Beiname Suleika, das tätowierte Wunder zusätzlich auf ihre Reize aufmerksam machen sollte. Dank des geschäftstüchtigen Impresarios brachte es die nicht mehr ganz junge Schaustellerin kurz nach dem Ersten Weltkrieg zu einiger Berühmtheit. Ob Dix Maud Arizona im Zirkus Busch in Hamburg oder im Zirkus Sarrasani in Dresden kennenlernte, ist bis heute ungeklärt.

Vom Gemälde zur Radierung

Die exzentrische Tattookünstlerin inspirierte Dix aber nicht nur zu einem außergewöhnlichen Ölgemälde. 1922 fertigte der Künstler zehn Kaltnadelradierungen an, die zu einer Mappe zusammengefasst in einer Auflage von 50 Stück unter dem Titel ZIRKUS im Eigenverlag erschienen. Es handelt sich um eine motivisch breit angelegte Folge von Artisten-Darstellungen, unter denen sich auch Maud Arizona befindet.

 

Otto Dix, Maud Arizona (Suleika das tätowierte Wunder) – Detailansichten

In der Radierung greift Dix die Komposition des Gemäldes weitgehend auf, verändert sie jedoch in einigen wesentlichen Punkten. Neben der vereinfachten Bühnensituation verzichtet er auf das Podest, womit die Artistin näher an den Betrachter heranrückt. Maud Arizona fixiert diesen nun direkt, wobei man in ihrem taxierenden Blick einen Anflug von Geringschätzung zu erkennen meint. Durch den direkten Blickkontakt distanziert sich der Künstler von der ursprünglich parodistisch angelegten Bildidee und verlagert den Akzent auf das Innenleben der Dargestellten. Hierdurch tritt der Mensch hinter der Figur in Erscheinung und erhält einen Teil seiner Würde zurück, der ihm durch seine Zurschaustellung genommen worden ist. Ungeachtet der Lust an grotesker Übertreibung fordert Dix den Betrachter dazu auf, einen Blick hinter die Fassade zu werfen und stereotype Vorstellungen von Außenseitern der Gesellschaft zu überdenken. Wie viele seiner anderen Arbeiten der 1920er Jahre weist ihn die Radierung Maud Arizona als emphatischen Beobachter aus, dessen Bildsprache die allgemeine Vorstellung von den sozialen Verhältnissen in der Weimarer Republik bis heute prägt.

 

Wir danken Herrn Christian Dünow, Düsseldorf, für biographische Hinweise zu seiner Urgroßmutter Genovefa Forst, geb. Weisser, die unter dem Künstlernamen Maud Arizona bekannt ist.