Humor mit Biss – 125 Jahre SIMPLICISSIMUS

Kunstwerk der Woche

Thomas Theodor Heine, SIMPLICISSIMUS-Plakat mit roter Dogge, 1896

Vor 125 Jahren erschien in München die erste Ausgabe des Satiremagazins SIMPLICISSIMUS. Das illustrierte Wochenblatt entwickelte sich schnell zu einem intellektuellen, literarischen und künstlerischen Anziehungspunkt von europäischem Rang, das wie kein anderes Medium Kritik an den sozialen und politischen Missständen der Zeit übte. KUNKEL FINE ART stellt drei im SIMPLICISSIMUS erschienene Karikaturen vor, deren Ursachen zwar der Vergangenheit angehören, deren Pointen aber immer noch sitzen.

Von roten Doggen und trotteligen Landesfürsten

Bis heute ist das von Thomas Theodor Heine entworfene und als Plakat vervielfältigte „Wappentier“ des SIMPLICISSIMUS – eine von der Kette gerissene rote Dogge, die sich dem Betrachter breitbeinig entgegenstellt – fest im kollektiven Gedächtnis verankert. Das zähnefletschende Biest war von der Redaktion als Kampfansage gemeint und machte seinem Ruf alle Ehre. Nicht wenige Text- und Bildbeiträge des SIMPLICISSIMUS waren derart provokant, dass sie die Staatsanwaltschaft auf den Plan riefen und ihren Urhebern unter anderem Haftstrafen wegen Majestätsbeleidigung eintrugen.

Serenissimus

Wilhelm Schulz, Serenissimus

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Auch die 1901 von Wilhelm Schulz veröffentlichte Zeichnung Serenissimus, deren Titel sich auf die offizielle lateinische Anrede eines Fürsten bezieht, hätte üble Folgen haben können. Einige Jahre zuvor hatte der Schriftsteller Otto Erich Hartleben den Serenissimus als fiktiven Charakter etabliert, so dass der Begriff gleichbedeutend war mit dem vertrottelten Staatsoberhaupt eines imaginären Kleinfürstentums. Im SIMPLICISSIMUS diente die stehende Figur immer wieder als Witzvorlage, mit der man sich über die Rückständigkeit und Borniertheit des Adels lustig machte.

Vor malerischer Kleinstadtkulisse lässt Schulz Serenissimus, der mit seinem markanten Bart und seiner operettenhaften Kostümierung nicht zufällig an Kaiser Wilhelm II erinnert, auf einen treu ergebenen Untertan treffen. Sich tief vor seinem Herren verbeugend, nimmt er dessen Anweisungen mit pflichtbewusster Mine entgegen:

Er ist dem Collegio attachieret? Sage er den Leuten, Wir intentionieren, Unseren Leibjäger als Burgermeister Unserer Residenzstadt zu präponieren, da Wir Uns versehen, daß selbiger am besten Unsere Intentiones der Kanaille deklarieret.

Mutet Serenissimus‘ gestelzte Sprache von Anfang an komisch und wie aus der Zeit gefallen an, so wird der Sinn seiner umständlichen Rede erst bei mehrmaligem Lesen verständlich. Die Idee der Mitwirkung oder gar Selbstbestimmung des Bürgers im Staate ist seinem absolutistischen Selbstverständnis gänzlich fremd. Er sieht in ihm nichts weiter als gemeines Pack, das nur durch die strenge Hand eines Jägermeisters zu bändigen ist.

Kaiser Wilhelm II in Barockuniform, um 1900

Während sich Vertreter des Hochadels sowie obrigkeitshörige Monarchisten durch Schulz‘ Zeichnung provoziert gefühlt haben dürften, werden sich liberalere Zeitgenossen eher darüber amüsiert haben. Tatsächlich entsprachen die realen Verhältnisse um 1900 kaum der ironischen Schilderung des Künstlers. Umso mehr war die Karikatur als Seitenhieb auf das anachronistische Selbstverständnis der politischen Eliten im wilhelminischen Kaiserreich gemünzt. Aufgrund ihrer geschickt camouflierten Kritik blieb sie jedoch ohne Nachspiel für den Künstler.

Der Arbeiter, der lieber ein Tier wäre

Zu den drängendsten gesellschaftspolitischen Themen um 1900 zählte die Soziale Frage. Sie ergab sich aus den sozialen Missständen, die seit dem späten 18. Jahrhundert mit der modernen europäischen Bevölkerungsexplosion und der Industriellen Revolution einhergingen, das heißt die sozialen Begleit- und Folgeprobleme des Übergangs von der Agrar- zur sich urbanisierenden Industriegesellschaft. Zwar hatte schon Reichskanzler Otto von Bismarck in den 1880er Jahren durch eine Reihe von Gesetzen die schlimmsten Ungleichheiten abzumildern versucht, doch waren diese auch Jahrzehnte später noch vorhanden.

Arbeiterwohnung in Berlin, um 1900

Welche kaum überwindbare Kluft zwischen den Lebensverhältnissen der oberen und unteren Klassen der Gesellschaft noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg bestand, lässt Ferdinand von Rezniceks 1908 im SIMPLICISSIMUS publizierte Zeichnung Unnötige Aufreizung erahnen. Darin macht ein elegant gekleideter Herr zwei jungen Damen seine Aufwartung, wobei die Konversation von der scheinbar unverfänglichen Plauderei in die Untiefen der Politik zu driften droht.

Ferdinand von Reznicek, Unnötige Aufreizung

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Wie schade, daß wir in München noch immer keinen zoologischen Garten haben.” – “Aber meine Damen, das ist ja ein Glück! Wozu sollen denn die Proletarier sehen, wie hygienisch dort die Tiere wohnen und wie rationell sie gefüttert werden!

Bei dem Sarkasmus dieser Zeilen mag manchem Leser das Lachen im Halse stecken geblieben sein. Noch heute mutet der Witz makaber an und wird nur dank der sich stark verbesserten sozialen Verhältnisse in seiner Schärfe abgemildert. Soziale Ungleichheiten sollten jedoch noch lange nach dem Untergang des deutschen Kaiserreichs ein politischer Sprengstoff bleiben und den Lauf der Geschichte mitbestimmen. Daran konnte auch der Münchner Zoo nichts ändern, der 1911 eröffnet wurde.

Leben und leben lassen

Nach der erhöhten Zivilliste

Olaf Gulbransson, Nach der erhöhten Zivilliste

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Trotz aller Kritik schlug der SIMPLICISSIMUS auch versöhnliche Töne an, selbst wenn es die Umstände nicht immer leicht machten. Ein Beispiel hierfür ist die 1914 während des Faschings erschienene Zeichnung Nach der erhöhten Zivilliste von Olaf Gulbransson. Darin prallen die Lebenswelten des Bürgertums und des Adels aufeinander. Unter den missbilligenden Blicken einer alten Aristokratin, ihrer Gesellschafterin und eines Kutschers ziehen zwei angeheiterte Pärchen in ausgelassener Stimmung die Straße entlang. Ihre Kostüme deuten darauf hin, dass sie von einer Feier kommen bzw. zu einer gehen. Hierüber echauffiert sich die Aristokratin:

Der Karneval dauert zu lang! Man sollte viel mehr verbieten, sonst behalten die Leute nicht Geld genug für uns übrig.

Der Schlüssel zum Verständnis der Zeichnung liegt in deren Titel. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges erhielten die regierenden Monarchen Deutschlands sowie die Angehörigen der königlichen Familien jährlich finanzielle Zuwendungen aus der Staatskasse. Diese Zivilliste genannte Steuer diente zur Deckung der für die Hofhaltung anfallenden Kosten und war der Ausgleich für das im 19. Jahrhundert an den Staat gefalle Krongut der begünstigten Geschlechter. Obwohl diese keine Rechenschaft über die Verwendung der im November 1913 nochmals erhöhten Mittel ablegen mussten, waren manche Angehörige unzufrieden mit ihrer Situation. Dass sie kein Verständnis für das Recht ihrer Untertanen aufbringen können sich im Fasching zu vergnügen, ist diesen jedoch gleich. Leben und leben lassen lautet die Devise – wer sich mit dem Gegebenen nicht vergnügen will oder kann, ist selber schuld.

Münchner Faschingszug, um 1910